KRIEG

Wolfang Müller und ich teilen, mit vielen anderen das gleiche Kindheitstrauma. In seinem Spiegelartikel vom 01. Mai 2022 beschreibt der Musiker mir vertraute Alptraumbilder aus Zeiten der latenten Kriegsbedrohung. 

Neben dem ich 10 Jahre länger darin aufwachsen durfte, besteht vermutlich ein weiterer kleiner Unterschied; Ich wurde in einem monatelangen Verfahren aufgefordert in eben diesen kalten Krieg zu ziehen und meine Wehrpflicht zu erfüllen. 

Enyway; Mitten im Sturm und Rang, den Kopf voller Flausen und weit entfernt von politischer Denke wurde ich gezwungen über des Menschen fragwürdigste Erfindung nachzudenken. Den Krieg. Hier nannten sie es Verteidigungsfall. Was aber, so dieser denn notwendig würde, auch auf Krieg hinausliefe. Für mein “Vaterland” sollte ich den Krieg zu meiner ganz persönlichen Option machen. Der Krieg, so klang die Einladung, rechtfertigt alles für das es sonst keine Rechtfertigung gibt. Ich darf nicht nur Menschen töten als Soldat, ich habe die Pflicht zu töten. Töte ich nicht, dann ist dies ein Verbrechen. Allerdings kein Kriegsverbrechen. Ein Krieg wohlgemerkt, in dem massenhaft getötet wird ist Völkerrechtlich nicht als Verbrechen einzustufen. Ein Kriegsverbrechen ist, wenn ich vor dem Töten vergewaltige, oder gegen andere „Kriegsregeln“ verstoße. Beim tieftauchen in diese skurrile Materie stieß ich immer wieder auf die Frage, „HÄ?“

Zutiefst verunsichert, ob ich nicht durch einen kosmischen Fehler auf die falsche Welt geworfen wurde, machte ich mich durch das Labyrinth der Regelschreiber:innen auf, um ein Schlupfloch aus diesem offensichtlichen Irrsinn zu finden. Und solche gab es. Ich mußte nur nachweisen dass ich zu dumm, zu klug, zu krank, oder zu schwul für den Wehrdienst war. Nach zahlreichen Tests, in denen ich all dies zu belegen versuchte, wurde mir trotz aller Bemühungen, (wie eine halbe Tube Zahnpaste vor der x-ten Nachmusterung schlucken), dann doch meine Tauglichkeit für das Militär attestiert. 

Was blieb war zu verweigern. Das war, in den 80 Jahren und nach all meinen gescheiterten Ausmusterungsbemühungen, kein Honigschlecken. Das zuständige Kreiswehrersatzamt bestätigte mir, wie jetzt Herr Müller, dass ich offenbar meinen moralischen Kompass falsch justiert hätte. Mann könne mir aber helfen diesen wieder auf Völkerrechtlich korrekte Kriegsführung zu rekalibieren.

Das Korrektiv bildete Seinerzeit ein Tribunal aus drei uniformierten Männern, erhöht vor einer großen Deutschlandflagge thronend. Ich nahm in der, extra dafür präparierten Turnhalle, auf einem kleinen Stuhl platz. Jetzt wußte ich genau, dass meine Anwesenheit auf diesem Planet ein Irrtum war. Ich fühlte mich eingeschüchtert, war fassungslos und zum Glück so wach wie selten davor. 

Heute würde das Tribunal vermutlich aus Wolfgang Müller, Anton Hofreiter und Marieluise Beck bestehen. Die Fragen währen die gleichen. 

„Wenn ihre Freundin im Krieg vergewaltigt würde, und sie hätten eine Waffe…..“

„Wenn ihre Familie bedroht werden würde, und sie hätten eine Waffe…“

„Wenn ihre Freiheit bedroht währe, und sie könnten diese nur retten in dem sie…“

Marieluise, Anton und Wolfgang geben dieser Tage alles um mir klar zu machen, dass es einfach Situationen gibt, die sind alternativlos. Da muß Mann (Frau ja nicht, die wird von Mann beschützt so wie es auch Silensky anordnet) einfach auch mal jemanden töte. Gerne auch indirekt durch die Weitergabe dafür notwendiger Waffen. 

Im Originaltribunal erwachte damals ganz unerwartet mein Selbstbewusstsein. Mir war klar, dass in der Welt einiges grundlegendes falsch lief. Dass sich die drei hoch-dotierten Offiziere vor mir mit Sicherheit im Recht wähnten. Auf der richtigen Seite. Doch der Irrtum wuchs nicht aus den Drei Nasen die da moralisch integer über mir schwebten. Der Irrtum wurzelte tiefer. Der Irrtum war – es gab keinen rationalen Grund Menschen zu töten. Ich wußte das auf ein mal sehr genau. Die wußten es nicht. 

Die Grünen schrieben damals auf ihre Plakate >>Alle Soldaten sind Mörder<< und >>Frieden Schaffen ohne Waffen<<. 40 Jahre später haben sie dann besser mal den Slogan dem aktuellen Sebelrasseln angepasst. >>Frieden schaffen mit mehr Waffen<< 

Die Grünen wahren mir damals eigentlich ziemlich schnuppe. Jetzt sind sie es wieder. 

In Ermangelung an Lebenszeit blieb mir vor allem mein Erstaunen als Ausweg, aus jener für mich äußerst seltsamen, von Gesellschaft und Menschheit anerkannten Selbstverständlichkeit. 

Ein kurzes lauschen in meinen inneren Resonanzraum ließ mich meine klare Antwort darauf hören. Laut und deutlich.

“Krieg ist falsch. Alles daran!”

Mich erstaunt weniger, der Diskurs in diesen krassen Zeiten. Den heiße ich willkommen, dort wo er respektvoll geführt wird. Mich erstaunt die Aufregung (die nach eigener Aussage) auch einen Herrn Müller antreibt. Das Farbbeutel nicht mehr in Richtung Joschka Fischer fliegen wenn der einen Afghanistaneinsatz für eine gute Idee hält, sondern in Richtung derer die es wagen die naive Frage nach Friedensarbeit stellen. Die Empörung darüber, dass die Vernunft einfach nicht einschlafen will, läßt mich nur noch schwer einschlafen. Historieaffine Menschen, die Kriegsstrategien per se für ein Paradoxon halten, bekommen die Moralkeulen um die Ohren. Welche dann noch nachfragt, wird mit halbgaren Prognosen angegriffen. Und wenn das auch nicht hilft holt der Kriegserfahrene mit40er ein paar Weltkriegsvergleiche vom Speicher runter. 

Ich sitze auf meinem kleinen Stuhl während Marieluise mich abfällig von oben herab betrachtet, weil ich durch meinen unreifen Pazifismus auf all die toten Kinder spucke. Müller blättert in Mein Kampf. „Kommen sie mir jetzt nicht damit, dass Nazideutschland kein Atomwaffenarsenal besaß, mit dem es vier bis fünf mal die ganze Welt pulverisieren hätte können“ werde ich gewarnt. Schade, damit wollte ich gerade kommen.

Anton nimmt ein Schlückchen kochendes Wasser. „Da müssen sie sich keine Sorgen machen. Ich gehe mal nicht davon aus dass im Kreml lauter Selbstmordattentäter sitzen.“ Beruhigt er mich lächelnd, während böse Brandbläschen auf seine Lippen wachsen.

Dann frage ich eben was das Ziel eines Aufrüstens von aussen für die Ukraine seien könnte. In diesen Tagen verstärkt die Ukraine Angriffe auf russischem Territorium. Vermutlich verstärkt mit Waffen der Natobündnispartner. Der preussiche Herr März reist aus parteistratigischen Gründen (in zwei Bundesländern wird alsbald gewählt)  in das Herz der Dunkelheit und das Gesäß der Deutschlandbasher, und fabuliert davon, dass wir doch eine Schutzmacht werden könnten. Nicht das erste Mal, dass über diese nächste Eskalationsstufe nachgedacht wird. Die Reihenfolge macht Sinn in den Augen der Waffenschieber:innen. Wenn Helme nicht helfen, dann Gewähre, wenn Gewähre nicht helfen, dann Panzer, wenn die nicht helfen dann Menschen. Die verwöhnten deutschen Jungs würden super vom aktuellen Coronatrauma abgelenkt werden, wenn sie nach flotter Grundausbildung ein bisschen im Dombass rumballern dürften.

Meine Frage lässt Herrn Hofreiters Augen aufleuchten. Ich kann die Antwort dahinter förmlich explodieren sehen. 

>>Was Waffen können? Sie bringen den Sieg! Die Bündnispartner werden den Russischen Bären indirekt pulverisieren. Der Neue russische Präsident Silenski wird auf einem deutschen Leoparden in den Kreml reiten, Nawalny aus seiner Zeller freibomben und endlich aufhören zu sagen, dass wir Deutschen voll die Luschen sind sind und er total enttäuscht ist von uns. Und Putin schießen wir dann mit seinen nutzlosen Spielzeugatomwaffen, in den Mittelpunkt der Sonne!<<

Omikron war schon ziemlich infektiös. Der Krieg scheint mir Infektiöser. Er vernebelt unsere friedenstiftenden Erzählungen, glättet die unzähligen Paradoxien und dreht Gedanken von den Füßen auf den Kopf. 

„Was sollen die Ukrainer Denken?“ Fährt mich Marieluise plötzlich an. „Was würden sie denken, wenn ihnen alles genommen wird und die die helfen können sagen, wir müssen erst mal nachdenken weil wir das eben können?“

Noch bevor ich antworten kann faucht Anton, dass ich doch auch 15 Jahre lang mit russischem Gas geheizt habe, die Warnungen aus Polen und der Ukraine ignorierte und jetzt nicht bereit währe diesen Irrtum wieder gut zu machen. „Der Feind versteht nur die Sprache der Stärke!“

Ich denke an meine Fernwärmeheizung, stelle aber Fragen nach „Syrien – Homs, Aleppo? Afghanistan? Südsudan? Der Jemen? Wo war da so unsere Stärke?“

„Da können wir nichts machen.“ erklärt mir Anton „und zwar, weil wir gerade einen Gas- und Wasserstoffvertrag abgeschlossen haben. Katar sponsert zwar Terroristen, befeuert den grausamsten Krieg seit Jahrzehnten, nimmt Frauen ihre Rechte, aber da muss mann schon differenzieren, Herr Beeck“

„Ausserdem“ erklärt mir Marieluise „ Wir dürfen verfassungsbedingt keine Waffen in Krisengebiete liefern. Firmen wie Reinmetal, KraussMaffei Heckler und Koch, haben zwar trotzdem in solche verkauft. Allerdings an die Angreifer. Das wahren alte Verträge, da konnte mann auch nicht’s machen. Die drei Firmen sprechen nicht umsonst von einer gesunden Wachstumsrate. Da knallen jetzt die Sektkorken. Es gibt eben doch auch Gewinner in Kriegen, nicht nur Verlierer, wie ihr Schnullis immer behauptet. Was dagegen?“

Ich stehe auf und geh. Wolfgang Müller ruft mir noch nach, dass meine Haltung eine klassische Täter-Oper-Umkehr sei, und ihn das wundert, da ich doch soziale Arbeit mache. Dann springen die drei auf und tanzen zu Marschmusik auf dem nächstbesten Vulkan. 

Krieg. Alles daran ist falsch. Ich halte Fragen ob es wirklich Antworten gibt, ob und wie ein Krieg zu führen ist für wegweisend. Ob Zielführend läßt sich von mir nicht beantworten. Ein paar Parteien und Journalisten:innen, die von Unmittelbarkeit überwältigt, nicht nur ihr zentrales Wertesystem hinter sich lassen, sondern plötzlich alle hervorragende Kriegsstrateg:innen wurden, würde ich gerne bei nem Käffchen fragen, wie ich das alles verpassen konnte. Die Änderung unserer Verfassung, und die Negierung der Gründe weshalb uns Waffenlieferungen in Krisengebiete untersagt sind? Warum verdienen europäische Kriegsopfer unter Risiken globalen Ausmasses unsere Waffen, Menschen anderer Ethnien halt nicht so sehr? Und wie bin ich in diese Welt geraten, in der ich, ohne mit der Wimper zu zucken, von >>unseren Waffen<< schreibe?

Aber ich spar’s mir. Mit Anton, Marieluise und Wolfgang ist gerade kein konstruktives Gespräch möglich. Vielleicht muß ich mich auch als tauglicher Mann auf meine Flucht vorbereiten?

So schnell geht das also. Der Krieg, uns so nah wie noch nie, legt seine Metastasen aus. Ich konnte es nur ahnen, damals auf dem kleinen Stuhl in der Turnhalle. Er macht uns glauben, dass er handhabbar sei. Steuerbar sogar. Er macht uns hasserfüllt und angriffslustig. Er lockt das Schlechteste in uns und macht uns glauben es sei das Beste. 

Ich sehe hin, bin eingeschüchtert, voller Angst, und krieg’s nicht gegriffen. Weil es nicht zu greifen ist. Weil es falsch ist. Alles daran. Er brennt uns Herzen und Köpfe aus und holt aus zum nächsten ungeheuren Flechenbrand. Kriege wollen wachsen. Die Bilder von beißenden Qualm brennender Häuser und Menschen machen uns blind. Wir beginnen auf Sicht zu Handeln, greifen zu den Waffen und töten einander. So schnell geht das? 

Ich klammere mich an die wenigen kühlen Köpfe im gluterhitzten Reigen. Mag nicht alles Wasserdicht sein was sie sagen. Aber für Lösungen sind auch diese nicht zuständig. Im besten Fall für Kühlung. Jede Stimme die das Töten ablehnt ist mir willkommen. Und ja, wenn ich noch an Gott glauben würde, würde ich beten, dass die Sprache der Waffen uns am Ende den Frieden bringt. Doch was währe das für ein Gebet?

dialogische Grüße,

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